Baumblüte – Ein Volksfest für die Werderaner?
Am 22. April 2023 erlebten Einheimische und Gäste der Stadt Werder (Havel) die Neuauflage einer 144-jährigen Tradition, die sich seit mehr als 30 Jahren in der Havelstadt etabliert hat. Die Baumblüte bot einst schöne und unvergessliche Stunden. Und es sorgte für Unmut. Und zwar von dem Augenblick an, in der die Lücken der Inselstadt bebaut wurden. Alteingesessene oder deren Erben verkauften ihre Häuser. Es wehte ein neuer Wind, auf der altehrwürdigen Inselstadt. Plötzlich war die Musik zu laut und die Gäste zu betrunken. Das Fest sollte von der Inselstadt verschwinden. Unterlassungsklagen der neuen Anwohner wurden abgewiesen. Bis 22 Uhr darf gefeiert werden, urteilte das Gericht. Doch die Diskussionen rissen nicht ab. Nach dreijähriger Pause, die nicht nur mit Corona zu tun hatte, gab das Fest vor den Augen von Tausenden ein trauriges Schauspiel.
Die Baumblüte begann am Sonnabend, wie es immer begann: Mit dem Blütenumzug, auf dem sich Werderaner Gewerbetreibende und Vereine präsentierten. Die Massen strömten aus Berlin in die sonnige Havelstadt. Der Umzug war ein voller Erfolg. Doch wer sich umsah, stellte fest: Nichts ist mehr, wie es mal war. Das war der erste traurige Moment des Tages.
Familienfest ohne Programm für die Familien – die neue Baumblüte
Ein Familienfest sollte es werden. Eltern sitzen mit ihrem Nachwuchs unter lauschigen Obstbäumen und trinken das einzige Glas Obstwein für den Tag. Mehr schaffen die meisten Mamas und Papas nicht, denn wer möchte die Kleinen gern torkelnd nach Hause bringen? Auf der Regattastrecke sollten Familien ihre Decke zum Picknick ausbreiten. Laut Festprogramm zieren Foodtrucks wie in jedem Jahr den Rand der Wiese. Doch die Realität war eine andere: Es gab drei Imbissangebote, die mit dem Ansturm so überfordert waren, dass Hungrige bis zu 50 Minuten auf ihr Langos warteten. Crêpes standen noch zur Wahl und Kartoffelchips. Bratwurst gab es nur am Fischstübchen von Fischer Mai. Mit langer Schlange, versteht sich.
Ich breite doch nicht meine Decke aus, um mit meinen Kindern Picknick zu machen, wenn die Jugend neben mir betrunken grölt und kifft.
Eine Frau aus Werder auf Facebook
Das Angebot für Familien auf dem Baumblütenfest war ausgesprochen überschaubar. Es gab ein einziges Karussell an der Regattastrecke und ein Riesenrad am Ufer gegenüber. Wer Werder aus der Gondel heraus genießen wollte, musste mehr als eine halbe Stunde anstehen. Auf der Bismarckhöhe, die aufgrund ihrer Höhenlage mit einem Kinderwagen oder Kindergartenkindern alles andere als gut zu erreichen ist, spielte ein Clown. Das war es dann auch schon. Parallel zum Auftritt des Clowns strömten junge Menschen in Scharen vom Bahnhof Werder (Havel) in die kulinarisch und musikalisch leergefegte Innenstadt. Dabei sollten diese Gäste doch eigentlich ganz zu Hause bleiben.
Bitte kaufen Sie Obstwein, aber betrinken Sie sich nicht
Das neue Konzept lautete: Ein Volksfest ohne Betrunkene. Ein Kunststück, denn an jeder Ecke gab es Stände mit dem süffigen Obstwein. Er gehört zum Baumblütenfest dazu. Was fehlte, waren Buden, in denen die Gäste etwas zu essen bekamen. So bewaffnete sich die Jugend mit drei oder vier Flaschen Wein und machte es sich dort gemütlich, wo die Familien zum Picknick eingeladen waren: Auf der Regattastrecke mit ihren drei Foodtrucks. Die Bühne war abgeschafft, Musikboxen offiziell verboten. Was aber niemanden davon abhielt, selbst für Stimmung zu sorgen.
Glaubt die Stadt, die Leute betrinken sich mit Musik anstatt mit Obstwein? Oder wie lässt es sich erklären, dass es viele Obstweinstände gibt, während die Bühnen zugunsten des neuen Konzepts „Baumblüte ohne Betrunkene“ abgeschafft wurden?
Eine Besucherin des Festes auf Facebook
Ja, die Gäste sollen Obstwein kaufen. Er hatte einst die Tradition des Festes begründet. Damals durften sich die Besucher aber noch betrinken und auf den Tischen tanzen. Gehört es nicht zu einem Volksfest dazu, dass sich der eine oder andere in Bezug auf seinen Alkoholkonsum übernimmt? Ja, es gab in den letzten Jahren vor der Pause viele Betrunkene. Doch jeder Besucher sah an diesem Sonnabend, dass fehlende Musik niemanden vom Trinken abhält. Im Gegenteil: Das Jungvolk hatte Spaß und die Zielgruppe für das Fest ging nach Hause.
Musik und Obstgärten auf der Baumblüte – wegen Überfüllung geschlossen
Die Obstgärten an der neuen offiziellen Festmeile Hoher Weg waren heillos überfüllt. Auch hier standen die Menschen Schlange. Es gab zahlreiche Foodtrucks, doch vieles war schon am Nachmittag ausverkauft. Wer Musik hören und tanzen wollte, musste die Treppen zur einzigen Bühne erklimmen. Bis zum Jahre 2019 gab es vier bis sechs Bühnen mit unterschiedlicher Ausrichtung. Für jeden war etwas dabei. Im neuen Konzept mussten die Gäste zunächst die finster dreinschauenden Herren der Security passieren. Mit Taschenkontrolle, versteht sich. Wer sich Wein für Zuhause mitgebracht hatte, in den erlaubten Plastikflaschen, wurde abgewiesen. Die Mitnahme von Alkohol auf die Festbühne war verboten. Ab etwa 21 Uhr waren die Tore verschlossen. Wegen Überfüllung. Oben tobte der einzige Bär der Stadt, unten standen die Gäste und guckten in die Röhre. Viele Buden ließen ihre Planen herunter, das Essen war ausverkauft. Offiziell ging das Fest bis 22 Uhr. Ein Volksfest ohne Musik und ohne leibliches Wohl. Das neue Konzept der Stadt Werder.
Aus zehn Tagen werden fünf
Traditionell dauert das Baumblütenfest neun Tage. 2023 sind es zehn, der erste Mai ist ein Montag. In der Realität können die Menschen aber nur fünf Tage feiern: Das alte Konzept bot jeden Tag Veranstaltungen mit freiem Zugang und bis zu 400 Stände, die über die gesamte Festwoche geöffnet waren. Im neuen Konzept wurden fast alle Buden am Sonntagabend abgebaut. Noch vor dem offiziellen Ende um 22 Uhr. Die Lichter an der Bühne gingen um 21.30 Uhr aus. Anstelle einer Band, die die Stimmung in den vielen schönen Baumblütenjahren zum Schluss noch einmal ordentlich anheizte, spielte Musik vom Stick. Auf der großen Leinwand stand der nette Satz: Kommt gut nach Hause. Eine halbe Stunde vor dem Ende des Festes wurden die Gäste persönlich aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Die drei Foodtrucks auf der Regattastrecke waren bereits am frühen Abend geschlossen. Die Stände der Obstbauern öffneten gar nicht erst. Das Fest war tot, unter der Woche.
Wir sind mit dem Start der Baumblüte sehr zufrieden
In den sozialen Netzwerken gab es schon am Abend des ersten Tages wütende und traurige Kommentare: Auf den Werderseiten, auf den Seiten der regionalen Zeitungen und des lokalen Fernsehsenders RBB. Der Erste Beigeordnete zeigte sich im Interview zufrieden. Die Bürgermeisterin sprach auf dem Werdertag von einem Fest, das sich die Werderaner gewünscht hätten. Nur an wenigen Stellschrauben müsse man drehen. Es war zu erwarten, dass sich die Verantwortlichen das Desaster schön reden. Ein Funken Hoffnung bleibt, dass die Obstbauern und die Werderaner intervenieren. Zumindest die, die hinter dem Fest stehen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass wir unser fröhliches Fest zurückbekommen, ist sehr gering.
„Besucher sollen sich dem Konzept anpassen, nicht umgekehrt.“ Und weiter: „Das Problem war, dass Leute kamen und das alte Baumblütenfest erwartet haben … das neue Konzept sei somit nicht auf den Besucherstrom, der am Sonnabend aufgrund des sonnigen Wetters besonders stark war, ausgelegt. Im kommenden Jahr, beim 145. Baumblütenfest 2024, würden die Enttäuschten, die eine „alte Baumblüte“ erwarten, jedoch wegbleiben. Dann werde der Besucherstrom den Vorgaben des Konzeptes entsprechen … Ich bin glücklich darüber, dass wir genau das umgesetzt haben, was die Werderaner wollten.“
MAZ digital, Artikel: Die schönsten Bilder: Party-Wochenende auf dem Baumblütenfest 2023 in Werder (Havel), abgerufen am 29.04.2023. Auszug der Stellungnahme von Herrn Hoferick, Geschäftsführer der Veranstaltungsgesellschaft, die das Konzept fürs Baumblütenfest entwickelt hat. Der Artikel bildete eine Diskussionsgrundlage in einer der Werdergruppen auf Facebook. Die mehr als 140 Kommentare waren überwiegend kritisch. Unter anderem wurde die Abwahl der Bürgermeisterin Saß gefordert.
Viele Werderaner, die in der Stadt geboren wurden oder schon Jahrzehnte hier leben, beschwerten sich in den Kommentaren, dass sie nach ihrer Meinung zum Konzept nicht gefragt wurden. Von Arroganz und Ignoranz war die Rede. Nur vereinzelte Stimmen verteidigten die Aussage, die Werderaner hätten sich das Fest gewünscht. Anderhalb Tage nach dem Erscheinen wurde der Post mit diesem Zitat für weitere Kommentare gesperrt. Der Moderator unterstellte eine Hexenjagd. Eine Kleinstadt in Aufruhr. Wegen eines Volksfestes, das keines mehr war.
Tanzlustbarkeit am zweiten Festwochenende? – Nur mit Eintritt
Wer am zweiten Festwochenende nach Werder kam, zahlte nicht nur bis zu 13 EUR für eine Flasche Wein oder für eine Portion Pommes mit Käse. Die Fahrt mit dem Blütenbus kostete 10 EUR pro Person. Der Zugang zur Bühne war mit einem Eintritt belegt: Am Freitag pro Person 20 EUR, am Samstag 30 EUR und am Sonntag 15 EUR plus Vorverkaufsgebühr. Weitere offizielle Bühnen gab es nicht.
Die Baumblüte macht keinen Spaß mehr
Das Fazit ist traurig und desaströs. Die Gerüchteküche brodelt. Die Schausteller wären nicht auf die Regattastrecke gekommen, weil die Bedingungen unerfüllbar gewesen wären. Der Rummel sollte stattfinden, aber bitte ohne Zuckerwatte und Bratwurst. Für eine zweite Bühne am Plantagenplatz reichte das Geld nicht. Musik auf der Insel ist für die Anwohner nicht mehr zumutbar. Sind die Bewohner des Hohen Wegs und der Jugendhöhe Menschen zweiter Klasse oder kann man erwarten, dass Traditionen auch von Zuzüglern akzeptiert werden?
Es macht keinen Spaß mehr, wenn du den ganzen Tag umherrennst und es doch nicht schaffst, die Gäste vernünftig zu bedienen
Der Betreiber der einzigen Bratwurstbude an der Regattastrecke
Das Gerücht über die Rolle der Zuzügler von der Inselstadt im Zuge der Umgestaltung des Baumblütenfests zu einer toten Veranstaltung hält sich hartnäckig.
- Ich für meinen Teil bin nicht böse, wenn mir nicht 200 Leute am Wochenende den Hinterhof vollpinkeln. Und ich vernehme aus Werderaner Kreisen, dass diese ebenfalls nicht böse darüber sind, dass das Fest ein wenig kleiner ausgefallen ist.
Auszug aus einer Diskussion auf Facebook. Sie bringt die Spaltung zwischen Neuwerderanern und Alteingesessenen auf den Punkt.
- Also, ich kenne nur Menschen, die das neue Konzept verteufeln
Apropos Inselstadt: Am Markt, dem einstigen Zentrum des Festes, wurden weiße Zelte aufgestellt. Büffelfleisch, hochwertige Kulinarik, Tischdecken und eine winzige Bühne, auf der ein Trio tragende klassische Musik spielte. Ich liebe klassische Musik, bin mit ihr aufgewachsen. Aber sie hat einen würdigen Rahmen verdient und auf einem Volksfest nichts zu suchen. Auch wenn es das Ansinnen einer weniger ist, das hier bedient wird. In den sozialen Netzwerken wurde das Trio verspottet, mir haben die Musiker leid getan. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.
Familien und Werderaner blieben fern, die junge Generation feierte
Am Eröffnungstag wurde deutlich, dass es nicht möglich ist, junge trinkfreudige Menschen, von denen sich einige einen Joint drehten, von einem Volksfest fernzuhalten. Sie saßen auf der Regattastrecke im Gras, ohne Musik, ohne Essen, mit Obstwein bewaffnet. Am Abend hockte so mancher am Gitter der Inselbrücke und brauchte einen Sanitäter. Sonne, Obstwein und fehlendes Essen waren wohl eine fatale Mischung. Die Stadt erreichte genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollte: Familien, Werderaner und die ältere Generation gingen nach dem Umzug nach Hause. Sie hatten keine Lust, sich über den Hohen Weg zu quälen oder ihre Taschen kontrollieren zu lassen. Wer nicht gut zu Fuß und im Treppensteigen war, konnte die Bismarckhöhe gar nicht erreichen. Die freundlichen Herren von der Security gestatteten nur Personen mit Rollstühlen, Kinderwagen und VIP-Gästen den Aufstieg über die Straße. Der Rest musste die Treppen nehmen, unabhängig von Alter und Handicap. Gästefreundlichkeit groß geschrieben!
Das Ende des neuen Konzepts
Das neue Konzept geht nicht auf. Symbolisch für das Scheitern steht eine Bürgermeisterin, die sich von der grüßenden Baumblütenkönigin abwendet. Und ihre Worte, die das neue Fest hochleben lassen sollten.
Wir müssen gar nicht so viel sagen, die Baumblütenkönigen kann das Fest eröffnen.
„Rede“ der Bürgermeisterin Manuela Sass zur Eröffnung des Baumblütenfestes. Sie war offizieller Programmpunkt im digitalen Festheft
Es wird viel zu sagen geben, zu diesem Baumblütenfest und der Zukunft unserer Tradition. Hoffen wir, dass die Kritik offen ausgesprochen und gehört wird. Denn ein Volksfest ohne Musik und kulinarisches Wohl, ohne Angebot für junge Menschen und Familien: So ein Volksfest funktioniert nicht und sollte eingestampft werden. Doch das wäre schade, für eine 144 Jahre alte Tradition.
Die Bühne bei Fischer Mai
Eine kleinere Bühne gab es bei Fischer Mai am Eingang zur Inselstadt seit einigen Jahren. Die Stimmung war immer gut. Doch es gab die große Konkurrenz, am anderen Ende der Föhse, wie der Arm der Havel zwischen Inselstadt und Festland offiziell heißt. In diesem Jahr war es plötzlich die einzige Bühne, auf der Inselstadt. Aufgrund begrenzter Kapazitäten auf dem privaten Gelände des Familienbetriebes bekam zu Spitzenzeiten nicht jeder Einlass. Aber auch vor dem Zaun durfte getanzt und gefeiert werden. Und so bekamen die Gäste wenigstens ein kleines Stück ihrer alten Blüte zurück. Mit Bratwurst, Backkartoffel, Steak und einem guten selbstgemachten Obstwein. Einlagen und Musik der „Freunde des Frohsinns“ und Gästen wie Remmi von Demmi wechselten sich ab mit Partymusik vom DJ. Hier durfte ohne Security bis 22 Uhr gefeiert werden. Und das wurde intensiv genutzt.
Alteingesessene gegen Westimport – und mittendrin die Bürgermeisterin
Die Begriffe des Alteingesessenen und des Westimports habe ich nicht geprägt. Ich übernehme sie, weil sie das Problem der Einwohnerschaft recht gut erklären: Es gibt viele Familien, die seit Generationen in der Stadt heimisch sind. Diese enge Bindung an die Heimat ist ungewöhnlich, zumal sich ein besonderer Menschenschlag etablierte, der sich selbst als etwas dickköpfig und unnahbar beschreibt. Man ist gern unter sich. In den 1990er Jahren gab es den vielsagenden Slogan „Eine Stadt die baut, blüht auf.“ Der Aufbau führte zu einer Verdoppelung der Einwohnerzahl. Viele der Zuzügler kommen aus Berlin und aus Westdeutschland. Die herrliche Lage an der Havel bedingte eine hohe Zahlungskraft für diejenigen, die Eigentum erwerben wollten.
Am Beispiel der Inselstadt bedeutete dies einfach formuliert: Wir haben hier viel Geld für unser Haus bezahlt und möchten nicht neun Tage im Jahr Krach vor der Tür haben. Aber auch an anderen Stellen wurde Diskrepanz unter den Einwohnern deutlich: Es formierte sich eine Bürgergruppe, die unter anderem Zugang zum Wasser über privat genutzte Grundstücke forderte und den Weiterbau einer mittlerweile fertiggestellten Therme verhindern wollte. In Stadtspaziergängen wollten sie den Bürgern ihre neue Heimat nahebringen. Die Stadt spaltete sich in zwei Lager: Eben die Alteingesessenen und der sogenannte Westimport. Das Baumblütenfest wurde zum Inbegriff der Fehde, die von den Zugezogenen gewonnen wurde, wenn man dies so bezeichnen darf. Dabei spielte die Bürgermeisterin insofern eine Rolle, als dass sie sich auf eine Seite stellte. Die Inselstadt durfte nicht mehr Zentrum des Festes sein. Mit der Bemerkung: „Es ist ein Fest, das die Bürger so wollten“ sorgte sie für Unmut in der Bevölkerung. Denn in den Diskussionen war schnell klar, welcher Bürgerwille berücksichtigt wurde und welcher nicht.
Wachsen die Bürger eines Tages zusammen?
Diese Frage lässt sich derzeit nicht beantworten. Fakt ist, dass der Unmut überwiegend in den sozialen Netzwerken ausgetragen wird. In Vereinsgesprächen, an Stammtischen, in den Wohnzimmern. In der Stadt prallen zwei Welten aufeinander, im Baumblütenfest hat sich der Zwist entladen. Vielleicht ist es in anderen Städten ähnlich: 40 Jahre der Teilung sind nach 30 gemeinsamen Jahren nicht überwunden. Für beide Seiten ist es keine einfache Situation: Der Alteingesessene tut sich mit Veränderungen schwer, der Zugezogene fühlt sich nicht willkommen. Beim Thema Blütenfest, so suggeriert es die allgemeine Stimmung, gibt es mehr Befürworter als Gegner. Wenn einer Mehrheit nicht stattgegeben wird, führt das meistens zu Problemen. Egal, worum es geht.
In eigener Sache:
Meine Vorfahren lebten auf der Inselstadt. Mein Zweig der Familie war im Obstanbau tätig, die Bedeutung des Baumblütenfestes für den Berufsstand kannte ich schon als kleines Kind. Auch die Filme, bei denen die Menschen in den 1920er-Jahren auf den Tischen tanzten. Und die Erzählungen meiner Großmutter, die von den wilden Feiern auf den Höhengaststätten berichtete. Heute behaupten schlaue Besserwisser, es wäre schon immer ein Fest der Höfe gewesen. Doch wie, bitte, sollten die Besucher die acht bis zehn Kilometer zu den Plantagen zurückgelegt haben? Die Pferdestraßenbahn führte nur vom Bahnhof in die Stadt. Autos waren kein Standard, vor hundert Jahren. Das Hochrad vielleicht. Nun ja. Eine Antwort bleiben die Schlauen schuldig.
Mir ist der schlechte Ruf des Festes bewusst und nein, ich möchte nicht, dass man meinen Vorgarten mit Fäkalien verschmutzt, obwohl es drei Schritte weiter ein Dixiklo gibt. Doch das Volksfest war mehr als das, zu dem es heute degradiert wird. Wir haben tolle Konzerte gesehen, kostenlos, an der Regattastrecke. Wir haben Leute wiedergetroffen, gequatscht, gelacht, in den 1990er-Jahren bis ein Uhr in den Mai getanzt. Ich selbst trinke keinen Alkohol und verstehe nicht, dass das Fest nur darauf reduziert wird. Die Ansichten einiger Neu-Insulaner und Besserwisser machen mich sauer und wütend. Meine Familie lebt seit dem ausgehenden Mittelalter in Werder. Ich bin dort nicht geboren, aber der Stadt mit ihren Traditionen eng verbunden. Dies mag sich in dem Artikel widerspiegeln. Doch wenn er ein wenig zum Nachdenken und zur Reflexion anregt, dann hat er seinen Zweck erfüllt.