Das Defizit beim Baumblütenfest und die Schuld der anderen
Unsere lokale Zeitung veröffentlichte einen Bericht über die Aufarbeitung vom Baumblütenfest. Es ist ein Defizit von 1,2 Millionen Euro zu stemmen. Nun werden Schuldige gesucht. Auf dem Hohen Weg gab es unter der Woche entgegen der Vereinbarung keine Stände. Aus diesem Grund hat, so die Meinung der Stadt, die Bismarckhöhe Verluste eingefahren. Nun soll der Dienstleister dafür gerade stehen. Es hat schon krankhafte Züge, wie diese Stadt bei allem und jedem versucht, die Schuld Dritten in die Schuhe zu schieben und damit ihre eigene Unfähigkeit verbirgt.
Bismarckhöhe – Festgelände mit Hindernissen
Fakt ist: Die Bismarckhöhe war von je her von allen Veranstaltungsorten am Schlechtesten zu erreichen. Nicht jeder hat Lust, etliche Stufen zu überwinden, um sich dann auf einem staubigen Platz zu vergnügen. Die Plätze mit der schönen Aussicht auf Werder waren an einigen Abenden geladenen Gästen vorbehalten und von der Security abgesperrt. Selbige zwang jeden Gast ohne VIP-Status bei der Ankunft, eben jene Stufen zu nutzen.
Abgesperrte Zugänge
Der leichter zu erreichende Zugang über die Jugendhöhe war während des gesamten Festes abgesperrt und von der Security bewacht. Der an die Treppen angrenzende Versorgungsweg war ebenfalls den VIP-Gästen vorbehalten. Eltern mit Kinderwagen durften freundlicherweise passieren. Dass es Menschen gibt, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, viele Stufen zu erklimmen, war egal. Sie wurden abgewiesen und durften die leichter zugänglichen Eingänge nicht nutzen.
Weinflaschen erst zum Auto bringen
Gleiches galt für Gäste, die sich auf dem Fest Weinflaschen für die Mitnahme nach Hause gekauft hatten. Am Fuße der Bismarckhöhe gab es einen großen Stand eines Obsthofes. Dieser hatte auch unter der Woche geöffnet. Die Mitnahme alkoholischer Getränke auf das „Festgelände“ war untersagt. Man sollte die Weinflaschen erst zum Auto bringen, dann durfte man passieren. Mit Ausnahme einer Wasserflasche waren auch andere Getränke verboten. Man wendete auf der einzigen Volksfestbühne, die es gab, das Hausrecht eines Konzertveranstalters an. Inklusive Taschenkontrollen. Gemeinsam mit dem beschwerlichen Zugang schreckte das etliche Gäste ab.
Bis zu 30 EUR Eintritt für ein Volksfestkonzert
Am zweiten Wochenende (Freitag bis Sonntag) kostete der Eintritt für ein Volksfestkonzert mit einem ausgedienten und drei bis fünf unbekannten Künstlern bis zu 30 EUR pro Person. Die Stadt hob sich mit Helene Fischer und Elton John auf eine Stufe und ging davon aus, dass alle Karten verkauft werden. Doch das undankbare Volk blieb – auch nach den Erfahrungen der Woche – lieber zu Hause und die Stadt auf ihren Karten sitzen.
Teure ungünstig platzierte Bratwurst
Die „Versorgung“ auf der Bismarckhöhe war gelinde gesagt eine Frechheit. Astronomische Preise für Pommes, Bratwurst und Getränke. Dann musste man sich entscheiden: Essen oder Bühne? Die mageren drei Stände befanden sich außer Sichtweite der Bühne in der letzten Ecke des Festgeländes hinter dem Gebäude. An den wenigen gut besuchten Tagen stand man lange an und verpasste das Geschehen auf der Bühne.
Rausschmiss vor dem Ende der Veranstaltung
Ausgeschrieben waren alle Veranstaltungen bis 22 Uhr. Die Konzerte endeten 20 Minuten früher. Schon vor 22 Uhr wurde das Gelände geräumt. Jeder, der sein teures Bier in Ruhe austrinken wollte, wurde persönlich aufgefordert, sofort zu gehen. In einem unfreundlichen Ton. Das animiert weder zum Wiederkommen noch zum Zahlen des teuren Eintritts.
Den Dienstleister trifft keine Schuld
Ich hoffe sehr, dass sich im Fall der in den Raum gestellten Ansprüche gegen den Dienstleister, der die Stände am Hohen Weg unter der Woche schloss, ein Gericht mit all den genannten Tatsachen befasst. Ihn trifft keine Schuld. Auch wenn es auf dem Hohen Weg Crêpes gegeben hätte, wären die Treppen zu überwinden gewesen und die Taschen hätten geöffnet werden müssen. Zudem war das Programm unter der Woche sehr speziell. Keine Volksfest-Mucke zum Feiern, sondern Jazz und irische Folklore. Vielleicht nicht schlecht, aber keineswegs massentauglich.
Zwei-Klassen-Gesellschaft
Die Stadt sollte zum alten Format zurückkehren oder das Fest einstampfen. Ein Volksfest nach den Vorstellungen einiger weniger wohlhabender Zugezogener, bei dem das Volk in die letzte beschwerliche Ecke verbannt wird und die Elite unter sich bleibt, funktioniert nicht. Es ist bezeichnend, dass die Bühnen von Marktplatz und Regattastrecke verschwinden mussten, um den neuen Anwohnern dort die geforderte Ruhe zu gönnen. Es ist wohl unzumutbar, neun Tage im Jahr auf Verständnis zu hoffen. Das mussten die Anwohner auf der Jugendhöhe und am Hohen Weg aufbringen und den Krach ertragen. Zwei-Klassen-Gesellschaft!
Gerechter Dämpfer für die Stadt
Ich werde als Werderaner Eigenheimbesitzerin mit meiner Grundsteuer für einen kleinen Teil der fehlenden Millionen geradestehen müssen. Dennoch finde ich diesen Dämpfer für die Stadt gut und richtig. Gäste, die ein Volksfest besuchen, möchten in erster Linie Spaß, Ablenkung und Unterhaltung. Sie möchten sich willkommen fühlen und sich nicht von der unfreundlichen Security in die Taschen gucken oder abweisen lassen, wenn sie den fußgängerfreundlichen Weg zum Festgelände nutzen möchten.
Blick zur Regattastrecke
Die Aufarbeitung all dieser Missstände so katastrophal wie die Organisation. Schuld hat nicht der Dienstleister, sondern die Stadt, die eine bald 150-jährige Tradition auf eine einzige ungünstig gelegene Bühne verbannen wollte. Darauf hatten die Gäste keine Lust und blieben fern. Die jungen, eigentlich unerwünschten Weintrinker machten es sich indes mit Obstwein und Joint bewaffnet auf der Regattastrecke gemütlich. Die war laut Konzept den Familien vorbehalten, denen dort mit einer Picknickdecke ein Bleiberecht eingeräumt wurde. Die Familien blieben ebenso fern wie die eingeplanten zahlenden Gäste der Bismarckhöhe. Auf der Regattastrecke waren die jungen Leute noch schneller betrunken als in den Jahren zuvor. Die Bratwurst fehlte, die den Obstwein in den vergangenen Jahren ein wenig neutralisierte. Es gab auf der Regattastrecke nur Crêpes, Kartoffelchips und Langos. Nach einer Stunde Anstehen.
Es läuft nicht gut, in der Blütenstadt
Es funktioniert vieles nicht, in unserer schönen Blütenstadt. Stichwort Schranke. Verkehrskonzept in engen Straßen. Überfüllte Schulen. Medizinische Versorgung. Statt des dringend benötigten Hautarztes hat Werder nun eine Praxis für ästhetische Medizin. Schuld an allem? Die anderen! Nur eine Sache läuft: Die Errichtung von Luxuswohnungen. In unmittelbarer Nähe der neuen Arztpraxis. Kurze Wege garantiert!